Zur Führung in Unternehmen

Zur Führung in Unternehmen

Führen als Dienstleistung


Autor: Dr. Margit Sarstedt



In einer Führungsposition sollte Führen nicht als Recht, sondern als Verpflichtung empfunden werden. Auf jeden Fall ist es Arbeit. In der Führungsrolle erbringt der Führende eine Dienstleistung an den Mitarbeitenden, Dienstleistung für die Sachziele, und Dienstleistung im Sinne der eigenen Vorgesetzten oder Auftraggeber. Oft werden diese Zusammenhänge vergessen oder gar mit Fragen der Macht gleichgesetzt. Es lohnt sich deshalb, dem Begriff und der Idee der Führung etwas nachzuspüren.



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Führung und Führen – Begriffsklärung


Für ein erstes grundlegendes Verständnis der Begriffe Führung und Führen ist ein etymologischer Blick auf die Worte interessant. Nachfolgendes ist dem Werk von Gerhard Köbler: Deutsches Etymologisches Wörterbuch, 1995 [1] entnommen.

Also, wenn wir führen, dann „machen wir etwas fahren“ und „wir setzen etwas in Bewegung“. So alt die Wortherkunft und diese Bedeutung ist, aus meiner Sicht könnten wir auch heute kaum besser zusammenfassen, was die Aufgabe einer Führungsperson eigentlich sein sollte. Und der Führende (im obigen Text: Führer) als „Ernährer“ und „Lastträger“ erscheint mir ebenfalls recht passend. Die Last der Führung tragen, das deutet bereits hier an, sich auf die eingangs erwähnte Dienstleisterrolle einzulassen.

Führungsseminare – eine Übung


In Seminaren für Führungskräfte mache ich gerne eine kleine Übung. Finden Sie Wörter, die die Begriffe ‚Führung‘ oder ‚führen‘ enthalten. Nachfolgend teile ich hier eine kleine Kollektion von den wirklich großen Mengen an Wörtern, die dabei üblicherweise zusammenkommen.

Führung hat also auch hier wiederum etwas damit zu tun, Dinge in eine Richtung zu bringen, Wege zu schaffen, und die Geschehnisse auf Spur zu halten.

Führen in der heute gängigen Definition


Lohnend für das Verständnis der heutigen Definition ist noch ein Blick in die Wikipedia. Unter dem Begriff „Führen“ [2] findet man als erstes die Unterteilung in:


i.   Das steuernde und richtungsweisende Einwirken

ii.   Das Erteilen einer Weisung im rechtlichen Sinne

iii.   Die militärische Befehlsgewalt

iv.   Die Inbetriebnahme eines Fahrzeugs

v.   Das zugriffsbereite Bereithalten einer Schusswaffe


Viele Missverständnisse rund um die Frage des Führens in Unternehmen stammen von der häufigen Assoziation des Begriffs Führen mit dem dritten Punkt (iii). Dies ist in Unternehmen tatsächlich weder zutreffend noch angebracht (obwohl es Ausnahmen gibt, denken wir an einen Feueralarm als Beispiel). Was in Unternehmen jedoch regelmäßig betrachtet werden muss, das sind die ersten zwei Punkte (i., ii.).


Dass das Erteilen einer Weisung im rechtlichen Sinne (Punkt ii.) in Unternehmen und sonstigen Organisationen stattfindet, ist eine simple Tatsache und sowohl in Arbeitsverträgen als auch im Arbeitsrecht geregelt. Und dieses wird auch nicht durch neuere Trends der Flachen Hierarchie, des Agilen Managements, oder der hier vertretenen Ansicht der Führung als Dienstleitung außer Kraft gesetzt. Im weiteren soll es in diesem Artikel jedoch nicht um die rechtlichen Aspekte gehen.


Hangeln wir uns also stattdessen unter dem ersten Punkt (i.) weiter voran.

Führung als richtungsweisendes Einwirken


Schauen wir uns dort den Begriff „Führung“ an, so finden wir unter der Kategorie Unternehmen und Organisationen gleich in den ersten Einträgen die hier relevanten Begriffe Teamführung (Führungskraft beeinflusst im Rahmen des operativen Führungskonzeptes ein Team) und Individualführung (ziel- und situationsbezogene Beeinflussung eines Geführten durch einen Vorgesetzten) [3]. Dies beinhaltet also – um es mit den Worten des Gabler Wirtschaftslexikons auszudrücken – eine asymetriesche soziale Beziehungen der Über- und Unterordnung [4], oder anders ausgedrückt, es beinhaltet eine klare Hierarchie.

Trend zur Abschaffung von Führung und Hierarchien?


Seit einigen Jahren gibt es nun einen starken Trend, Hierarchien und Führungskonzepte in der Arbeitswelt grundlegend in Frage zu stellen. So sind Modetrends entstanden, die – vermeintlich – die Hierarchien abschaffen und die – wiederum vermeintlich – ganz ohne Führung auskommen. Was ist davon zu halten?


Einfach nur die Worte „Flache Hierarchie“ [5] scheinen auf viele Menschen – auf Mitarbeiter und auf Verantwortungsträger gleichermaßen, wenn auch vermutlich aus unterschiedlichen Gründen – eine Faszination auszuüben. Denn fälschlicherweise besteht häufig die Annahme, dass in einer flachen Hierarchie grundsätzlich alle Beteiligten gleichberechtigt sind und nach ihrem eigenen Können und Wollen zum Geschehen beitragen. Dieses Image wird regelrecht zelebriert, nach außen hin zumindest. In Realität sieht es oft anders aus, wie in dem Beitrag  Der Dienstwagen lebt von Christoph Schäfer wunderbar dargestellt [6]. Und zum Thema Flache Hierarchie wird auch in den hiesigen Themenbeiträgen zukünftig noch mehr zu sagen sein.


Was sind die Hintergründe der Ablehnung von Führung? Ist das eine Generationenfrage? Sicherlich nicht nur. Aber erst kürzlich sagte mir eine Teilnehmerin in einem Seminar, dass junge Mitarbeiter halt nicht geführt werden wollen. Sollten wir also den Trends folgen und jegliche Führung einfach sein lassen? Ich denke, nein. Denn die Ablehnung von Führung erscheint mir oft eher die Ablehnung einer falsch praktizierten Führung zu sein.

Führung und Hierarchie in der Kritik


Schauen wir uns einige der Kritikpunkte an Hierarchien und Führungsstrukturen, zusammen mit einer Einschätzung der einzelnen Punkte, einmal genauer an.



1) Schon seit vielen Jahrzehnten wird eine Führung, die mit sturer Arbeitseinteilung, Vorgaben und Kontrolle daherkommt, von den heute aktiven Generationen abgelehnt.

o   Dies jedoch heutzutage als Argument gegen Führungsstrukturen anzuführen, ist meines Erachtens anachronistisch, denn diesen Führungsstil gibt es, in Unternehmen zumindest, sowieso kaum noch.


2) Immer wichtiger wird den Mitarbeitenden auch die Frage, ob die jeweiligen Führungspersonen die zu erreichenden Ziele als gemeinsame Sache verstehen.

o   Dies erscheint mir ein wichtiges Thema unserer Zeit. Nicht selten nämlich weichen die tagtäglichen Sorgen der Führungsebenen stark von den tagtäglichen Sorgen der Mitarbeiterebenen ab. Dies führt zu einer ausgeprägten Distanz zwischen den Hierarchiestufen, damit dann zu einer fehlenden Kommunikation zwischen den Hierarchieebenen, und damit wiederum zu Frustration und Ablehnung.


3) Eine Führung, die die Bedürfnisse der Mitarbeiter nach Eigenständigkeit im Arbeiten missachtet, wird zunehmend angeprangert.

o   Menschen wollen – und zwar zu Recht – ihr Gelerntes selbst und eigenverantwortlich zur Umsetzung bringen. Aber was genau heißt eigenverantwortlich? Das Delegieren der Verantwortung ist gut und notwendig. Es hat jedoch seine Grenzen. So wird zum einen die Ergebnisverantwortung immer in den Managementebenen verankert bleiben, zum anderen sollte es auch in Zukunft notwendig sein, in Führungsfragen den jeweiligen Reifegrad der Mitarbeiter bei der Verantwortungsübertragung mit zu berücksichtigen. Ein feines Ausbalancieren des Zusammenspiels zwischen den Hierarchieebenen (Handlungen und Verantwortlichkeiten betreffend) ist also notwendig. Dazu dann auch in späteren Beiträgen mehr.


4) Das Beharren auf Althergekommenen wird von nachwachsenden Generationen nicht akzeptiert. Diese naturgegebene Rollenverteilung tritt in unserer heutigen Zeit der weltweiten Vernetzung und digitalen Medien verschärft zu Tage.

o   Der aus Erfahrung geborene gesunde Menschenverstand sollte jedoch durch die Schnelllebigkeit der Zeit nicht verloren gehen. An die Führenden stellt dies hohe Anforderungen, die eine klare Sicht auf die Zukunft sowie einer Zugewandtheit den Mitarbeitenden gegenüber benötigt. Dies erfordert Offenheit, Wandlungsfähigkeit, und die Verknüpfung von Erfahrungswerten mit neu aufkommenden Ideen. Mit einem Wort, es erfordert Agilität in der Führungsaufgabe.



Die Kritik an der gelebten Realität in Führungsstrukturen existiert also durchaus zu Recht. Doch sollte nicht die Existenz von Hierarchieebenen und Führungsstrukturen in Frage gestellt werden, sondern die Art der Ausübung der Führungsaufgabe.


Es macht keinen Sinn, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Denn für das Voranbringen der Sache müssen die Fäden irgendwo zusammenlaufen. Nicht jeder der Beteiligten im Gesamtgeschehen kann immer den Gesamtüberblick behalten. Hier muss es den zentralen Koordinations-, und ja, auch Entscheidungspunkt geben. Ansonsten macht Arbeitsteilung, zumindest in großem Stil, wenig Sinn.

Agiles Management – die Lösung?


So vieles wird über Agiles Management gesagt und geschrieben. Sichtet man Beiträge verschiedener Autoren so stellt man jedoch fest, dass es eine klare und einheitlich verwendete Definition für Agiles Management tatsächlich nicht gibt.


Aus den verschiedenen Aspekten dessen, was unter Agilem Management verstanden wird, wollen wir einen Blick auf die Agile Führung werfen. Die Spanne reicht dabei von einem „Führung on demand“ Konzept, in dem die Führung temporär immer wieder von neuen Teammitgliedern übernommen wird [7], bis hin zur Anlehnung an die Transformationale Führung [8] und dem in den Hintergrund tretenden Fachwissen der Führungskraft [9]. Trotz der verschiedenen Detailansichten der Autoren ist beiden gemeinsam die Bezeichnung der Führung als dienende Rolle in Kombination mit der Selbstorganisation im Team.

Meiner Einschätzung nach führt jedoch gerade eine immer ausgeprägtere Forderung nach Selbstorganisation innerhalb der Teams, oft auch noch verbunden mit der Fokussierung der verbliebenen Führungsebenen auf die Unternehmensperspektive [9], geradewegs dazu, dass die Distanz zwischen den einzelnen Hierarchieebenen weiter zunimmt. Die Kommunikation zwischen den Führungsebenen kann, meiner Überzeugung nach, dadurch unterbrochen oder gar abgeschafft werden.

Die Kommunikation ist es jedoch, die Agiles Management im Sinne einer höheren Flexibilität im Unternehmen ausmacht. Dies wird in einem Beitrag von Svenja Hofert sehr schön herausgearbeitet [10]. Sie adressiert, dass es im Agilen Management vor allem um eine Führungs- und Unternehmenskultur geht, die sich flexibel auf Veränderungen einstellen muss. Die daraus gezogenen Schlussfolgerung zur Agilen Führung sind oft nicht neu, sondern tatsächlich meistens bereits viele Jahrzehnte alt [10].

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Insgesamt ist also bei dem Begriff der Agilen Führung – so meine Überzeugung – Vorsicht geboten.  Denn es geht bei Führung ja gerade um eine richtungsweisende Steuerung des gesamten Geschehens, es geht darum, Menschen und Aufgaben sinnvoll zusammenzuführen, und es geht darum, in den Führungsfunktionen Freiräume für die notwendige Weitsicht zu schaffen. Weder eine Abschaffung der Hierarchien, noch eine Einführung rotierender Führungs-verantwortung, noch eine komplette Selbstorganisation der Teams kann diese zentralen Elemente der Führung leisten.


Dies ist vielmehr einzig und allein durch eine dem Mitarbeitenden zugewandte Art, eine Gesprächskultur auf Augenhöhe, und den Mut zur Übernahme von Verantwortung in den verschiedenen Hierarchiestufen möglich. Dies alles macht den Führenden zu einer Führungspersönlichkeit, der sich selbst im Dienste aller einsetzt, um sinnvolle Arbeit rundum überhaupt erst zu ermöglichen.

Führung als Dienstleistung – ein Fazit


  • Wenn wir führen, dann „machen wir fahren“, wir setzen in Gang, steuern in eine Richtung, und halten auf Spur.
  • Für jede Arbeitsorganisation muss es Knotenpunkte, also Dreh- und Angelpunkte des Informationsflusses, geben. Dort benötigt man Persönlichkeiten mit Weitblick und Erfahrung, denn dort müssen – regulär oder zumindest im Zweifelsfall – die Entscheidungen fallen.
  • Nicht Abschaffung jeglicher Hierarchien und Führungsstrukturen ist also die Lösung, sondern eine gute Zusammenarbeit zwischen den Hierarchien.
  • Für die Führungsaufgabe bedeutet dies eine deutliche Mitarbeiter Zugewandtheit, eine Führung also auf Augenhöhe, um die Themen gemeinschaftlich mit dem Mitarbeiter zu betrachten, und um im richtigen Moment auch loslassen zu können.
  • Es erfordert vom Führenden aber auch eine subtile Steuerung des Geschehens an den Entscheidungspunkten. Auf diese Art werden sinnvoll definierte hierarchische Stufen nicht außer Kraft gesetzt, jedoch themenbezogen abgeflacht.
  • Führung – richtig verstanden – ist also kein Recht im Sinne eines Privilegs, sondern aktive Arbeit, und zwar Arbeit nicht nur im Interesse der Sache, sondern vor allem auch im Dienst der Geführten.

Quellenangaben:

[1] Gerhard Köbler: Deutsches Etymologisches Wörterbuch, 1995;  http://www.koeblergerhard.de/der/DERF.pdf.

[2] Wikipedia (Stand 21.07.2018): Führen; https://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%BChren.

[3] Wikipedia (Stand 21.07.2018): Führung; https://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%BChrung.

[4] Gabler Wirtschaftslexikon (Stand 21.07.2018): Führung; https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/fuehrung-33168.

[5] Wikipedia (Stand 16.07.2018): Flache Hierarchie; https://de.wikipedia.org/wiki/Flache_Hierarchie.

[6] Christoph Schäfer: Der Dienstwagen lebt, Frankfurter Allgemeine (Online, Stand 18.07.2018); http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/beruf/statussymbole-im-job-der-dienstwagen-lebt-15442645-p2.html?printPagedArticle=true#pageIndex_1.

[7] Valentin Nowotny: Unternehmenskultur – Was ist eine agile Organisation?, business-wissen.de (Online, Stand 18.07.2018); https://www.business-wissen.de/artikel/unternehmenskultur-was-ist-eine-agile-organisation/.

[8] Wikipedia (Stand 20.07.2018): Transformationale Führung; https://de.wikipedia.org/wiki/Transformationale_F%C3%BChrung.

[9] Bernd Rutz: Agile Leadership: Was Agile Führung ausmacht, Haufe.de (Stand 20.07.2018);

https://www.haufe.de/personal/hr-management/fuehrungsmodelle-agil-fuehren-lernen_80_212704.html.

[10] Svenja Hofert: Agile Führung: Warum jetzt alle auf den Zug springen – und 6 Gründe, die Finger davon zu lassen, Informatik Aktuell (Online, Stand 20.07.2018);

https://www.informatik-aktuell.de/management-und-recht/projektmanagement/agile-fuehrung-6-gruende-die-finger-davon-zu-lassen.html